21 chapter – 7/21

7/21

Der Regen ist so fein, dass man ihn kaum auf das Dach der Terrasse fallen hört..

Das Tiefdruckgebiet, in dem sich gestern noch Gewitter und Sonnenschein abwechselten, hatte sich festgesetzt. Manchmal frischte der Wind auf, manchmal wurde der Regen für einen Moment stärker und schlug in dicken Blasen auf die Holzbohlen vor der Cabin, nur um sich Minuten später wieder wie leiser, feuchter Nebel um die Natur oder an die Scheiben zu heften. Nur ganz leise, beinahe knisternd nehme ich ihn jetzt wahr, sitze eingewickelt in einer Wolldecke am leeren Esstisch.

Bis zu 14 Personen haben hier Platz, aber gerade bin ich allein hier, ziehe die Beine an, sodass sie auf der Sitzfläche noch Platz finden und lasse mich von dem Cursor meines Schreibprogramms anblinken. Als es in der Küche immer enger, lauter wurde, weil statt ihm und mir nun auch die Familie, die 3 kleinen Kinder aufwachten, Pfannen und Teller klimperten, um mich herum kleine Hände Toast und Marmelade aßen, verteilten, immer mehr Gläser, Brotkörbe, Müsli und Obst den Tisch füllten, hatte ich meinen Laptop zugeklappt, meine Notizen auf ihn gelegt und gesagt, ich würde Platz machen, tatsächlich flüchtete ich. Wir waren schon um 06:15 Uhr für einen heißen Kaffee und Strom zurück zum Haupthaus gefahren. Ich wollte ein neues Testkapitel schreiben, hatte seit Tagen die Ideen dafür auf Papier skizziert, er wollte seine E-Mails beantworten, ein paar längere Lebenszeichen, sogar ein paar Zukunftspläne zurück nach Kapstadt und in seine Firma schicken.

Eine Stunde lang hatten wir uns gegenüber gesessen, kein Wort gesagt, viele getippt.
Die Familie schlief noch, lediglich das Blubbern des Filterkaffees und das Klacken der Tasten, gehörte zu unserer Geräuschkulisse. Ab und zu seufzte er und streckte die Arme über dem Kopf aus, wenn er eine E-Mail getippt und final abgeschickt hatte. Als ich zwischen ein paar Zeilen, ohne dabei vom Bildschirm aufzusehen, nach meiner Kaffeetasse griff, hatte er meine Hand festgehalten und mich still angesehen, lächelnd, noch ein bisschen müde. Dann riss jemand die Haustür auf und ließ die Lautstärke herein.

Ich muss mal für ein paar Minuten flüchten…

„Hey, ist es dir zu viel geworden?“, fragt er hinter mir. Als ich mich zu ihm umdrehe, aus meinem Sessel hochschaue, beugt er sich zu mir, küsst mich. Dann stellt er einen Teller neben mir ab. Rührei mit Spinat und Pilzen, eine aufgeschnittene Avocado, eine Scheibe geröstetes Roggenbrot und Frischkäse. „Ich dachte ich bringe dir dein Frühstück mal hier raus.“

Er trinkt einen Schluck von meinem Kaffee und setzt sich mit der Tasse neben mich.
„Ich wollte nur diesen Absatz hier fertig bekommen..“, sage ich und fühle mich ertappt.
„Und vielleicht hab ich mich ein bisschen zu sehr an die Ruhe gewöhnt, da unten im Bootshaus..“

Es stimmte. Ich war nach nur einer Woche längst daran gewöhnt, dass der Lärm, den ich hörte, mein eigener war, dass morgens niemand durch die offene Tür kommen würde, außer der kleine Spaniel, der hier auf der Farm ohne Leine spazieren und sich frei bewegen konnte.
Aber selbst in einer lauten, nie ganz schlafenden Straße wie der Kloof Street, deren Geräusche ich täglich, sogar nachts durch das große, offene Fenster meines Apartments ließ, suchte ich mir aus, wann ich gestört werden wollte, kontrollierte meine Umgebung, ließ mich entweder beim Frühstück auf die Kulisse eines Straßencafés ein, setze mich in die Mitte all der Menschen, erhoffte mir davon Produktivität, Inspiration, einen Puls um mich – oder zog mich auf mein Bett zurück, co-existierte ausgeglichen mit meiner eigenen Stille und dem white noise der Stadt unter mir.

„Geht mir genau so.“
„Wirklich? Ich will dir nicht, dass Gefühl geben, dass ich vor deiner Familie flüchte..“
„Du flüchtest ja nicht vor meiner Familie, sondern vor 7 Erwachsenen und 3 Kindern, die dort gerade in einem Raum, in dem sonst vielleicht 6 Menschen bequem Platz haben, frühstücken.“
„Ich bin wirklich gern hier oben..“, auf einmal fühle ich mich schuldig. Wie jemand, der für den Kaffee und die Steckdosen hier hoch kam, aber dem Familienfrühstück auswich.

Dabei fühlte ich mich jeden Tag noch ein bisschen wohler, immer weniger fremd hier, wenn wir für das Abendessen oder auf ein Glas Wein herkamen. Ich hatte erst vor ein paar Abenden monopoly deal mit an den Tisch gebracht und die Familie binnen weniger Runden infiziert. Bis nach Mitternacht wurde immer wieder neu gemischt, Wein nachgeschenkt, liebevoll gestritten und einander der Besitz entrissen.

Ich hatte seine Schwester jetzt schon unheimlich lieb gewonnen und mochte die entspannte, positive Aura, die seine Mutter ausstrahlte. Wenn sie sich zu mir setzte, sprachen wir über Bücher, Filme und Zeitgeschehen, aber vor allem über Reisen, sie zeigte mir Fotos von Plätzen in Mpumalanga, die ich unbedingt einmal besuchen musste, erzählte mir von dem kleinen Inn, dass sie besaß und fragte mich nach meiner Meinung zu ihrem Renovierungsplänen.

Und gerade, als ich ihm das noch einmal versichern, noch einmal erklären will. dass ich mich gar nicht so sehr vor der Familie, sondern aus einer Gewohnheit in meine eigene Welt zurückgezogen hatte, werden wir unterbrochen.
„Habt ihr zwei noch einen Platz frei? Ich muss mal für ein paar Minuten Ruhe haben…“
Sie hat auch eine Decke, eine volle Tasse Kaffee und einen Laptop unter dem Arm, setzt sich neben mich, klappt ihn ohne ein weiteres Wort auf und öffnet ihr Postfach…

anything to say?

Comments

  • Wow Lina. Ich bin sonst eine stille Leserin deines Blogs aber ich muss dir nun einfach mal schreiben. Ich hab dein Buch innerhalb eines Tages verschlungen und warte immer ganz sehnsüchtig darauf, bis ein neues Kapitel deines diary’s erscheint. Du hast eine ganz besondere Gabe zu schreiben – mach weiter so.
    Liebste Grüße Laura ?

  • Liebe Lina,

    ich bin so begeistert von diesen Cabin Dairies und wie du alles beschreibst. Es ist eine kurze Flucht in eine andere Welt, die man gerade sehr gut gebrauchen kann 🙂

    Freue mich auch schon darauf dein Buch zu lesen, mach bitte weiter so!

    Liebe Grüße

  • ich kann immer kaum den nächsten Teil erwarten. Das macht es aber auch gerade so besonders, dass ich nicht alles auf einmal lesen kann, sondern immer nur einen kleinen Einblick bekomme…

  • Liebe Lina,

    Auch ich folge dir schon länger und habe schon einige deiner Blogbeiträge gelesen, aber das Cabin Diary verschlinge ich regelrecht!! Ich freue mich schon sehr darauf, die weiteren und auch noch weitere Geschichten & Bücher von dir zu lesen.
    Liebe Grüße!

  • Liebe Lina,
    immer wenn ich einen Moment Ruhe in diesem ganzen Chaos da draußen gerade brauche, flüchte ich mich in deine Texte. Das war schon immer so, aber gerade noch viel mehr. Sie bringen mich zum Nachdenken, Träumen und Erinnern. Du hast die Gabe mit deinen Worten Gefühle, Momente und Emotionen so nah zu beschreiben und aufs Papier zu bringen, dass ich jedes Mal denke, es wären meine eigenen. Du schaffst es so oft das zu sagen, was ich – und ganz bestimmt auch viele andere – nicht in Worte fassen können, aber so gerne würden, und dafür wollte ich mich einfach mal kurz bedanken. Ich lese dein Cabin Diary so unglaublich gerne, fühle die einzelnen Situationen, notiere mir Zitate in mein eigenes Notizbuch und seh mich in meinen eigenen Erlebnissen wieder oder träume mich in zukünftige… und das ist einfach wunderschön und unbezahlbar im Moment! Danke Lina, von Herzen.
    Liebe Grüße, Melly

    • Vielen, vielen Dank für so ein tolles Feedback liebe Melly!
      ich schreibe gerade schon fleißig an Teil 8 <3

      Alles Liebe,
      Lina

    • Ich glaube, dieser Beitrag sagt alles, was ich auch gerne sagen würde. <3 Auch von mir ein Danke, von Herzen. <3

  • Nachdem ich gerade die für mich wohl bedeutsamste und stressigste Zeit (bislang) hinter mich gebracht habe, hab ich endlich wieder die Zeit und Energie mich zu entschleunigen und das mache ich am liebsten mit deinen Texten, aktuell das cabin diary. Sie sind mein „Fleckchen Ruhe“, dein schreibstil fesselt mich unbeschwert, aber doch blasenartig und lässt mich runter kommen, über das Leben nachdenken und Einstellungen zu hinterfragen. Danke dir Lina, für deine mit Gefühlen /Empfindungen gefüllten Texte und dadurch für deine Verbesserung meines Lebens und meinerselbst ♥️

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