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stay home – if you got one

Mit einem Klicken verankere ich den letzten Stecker, schalte den Strom an. In der Verteilerdose vernetzen sich drei Kreise mit Energie, speisen in 6 verschiedene Geräte, mein MacBook, meine Powerbanks, den Akku der Kamera, meine Kopfhörer, die Taschenlampen, die wir nachts neben unserem Bett haben.

Auf dem Tisch vor mir öffnet sich die E-Mail, die in den letzten Stunden vermutlich von Tausenden gelesen wurde. Nach 3 Tagen der gefühlten Stille, der Unklarheit, die sich wie ein Tauchbecken angefühlt hatte, in dem manche sich immer Tiefer strampelten, sich müde traten, in dem ich und andere abwartend trieben, vielleicht um Kraft zu sparen, vielleicht um jenen auszuweichen, die dumpfe Wellen ins Nichts schlugen – gab es eine Antwort. Das Auswärtige Amt informiert uns über das, was sich angekündigt hatte, seit Wochen schon, die Grenzen waren nicht nur endgültig zu – sie würden es bleiben. Mindestens drei Wochen lang, würde kein Flugzeug abheben können. In einem Nebensatz erwähnt der Botschafter die Gespräche über mögliche Rückholflüge, dämpft aber in seinen letzten Worten die Euphorie, vielleicht auch die Anspruchshaltung, die einige in den wenigen Worten finden könnten. Für den Moment, gibt es nur eine sichere Information: wir bleiben – wo wir sind.

Während in Europa "Stay home – if you can", groß geworden war und all jene ansprach, die nicht als Arzt, Krankenschwester, Pflegepersonal, in essentiellen Branchen oder Notfallbetreuer arbeiteten, der all jene auffordern sollte die Möglichkeit der Selbstisolation im eigenen zu Hause mit mehr Vernunft, Dankbarkeit und Geduld anzunehmen – hieß er hier anders.

"Stay home – if you got one."

 

gehen oder bleiben?

Der Lockdown in Südafrika sollte nicht nur eine Kurve drücken, um dem Gesundheitssystem ein paar Wochen mehr Zeit zu erzwingen – sondern auch um den Ansatz einer Chance für all jene anzuschieben, zu suchen, die ohne sie sind, schon viel zu lange. Die Realität ist: tausende Menschen in Südafrika leben in Ballungsgebieten, aber ohne Behausung, ohne die Möglichkeit der Isolation und vor allem ohne die finanziellen Mittel um sich auch nur für wenige Tage – selbst zu versorgen.

Um die Belastung der Städte im Ernstfall zu drücken, wurden all die Südafrikaner, Gäste oder Expats, die auch in weniger dicht besiedelten Gebieten eine Unterkunft hatten, in der sie sicher und versorgt waren, gebeten auf diese auszuweichen. Als klar geworden war, dass sowohl mein umgebuchter Flug, als auch meine zusätzlichen zwei Buchungen nicht abheben würden, hatte ich begonnen mich zumindest gedanklich auf eine andere Möglichkeit einzulassen: in Südafrika zu bleiben, abzuwarten – und auf diese Farm zu fahren, von der ich bis dahin nur ein paar Koordinaten kannte, die er mir geschickt hatte.

Einen ganzen Tag lang hatte ich meine Koffer zusammengepackt, ohne zu wissen ob ich bleiben oder gehen wollte. Und wenn ich ging: wohin? Das Auswärtige Amt bat uns darum auch nach sicheren Alternativen zu suchen, in denen wir den Lockdown überstehen könnten. Meine Wohnung war zwar noch für einige Zeit bezahlt, aber immer wieder bekam ich bei Instagram oder über meine Vermieterin Anfragen, ob ich sie auch Urlaubern zur Verfügung stellen würde, die gerade von Roadtrips oder Rundreisen quer durch das Weatern oder Eastern Cape zurück in die Stadt kamen und noch nicht wussten, wo sie bleiben würden, für den wahrscheinlichen Fall, dass sie es ebenfalls nicht auf einen der letzten Flüge schafften.

In der Sekunde als ich das Video vom Flughafen in Kapstadt von einer Freundin bekam, an dem in drei Tagen noch genau zwei Flugzeuge abheben sollten, die Menschenmengen sah, die an Schaltern warteten, auf No-Shows hofften, sich heftig stritten, so müde, so abgekämpft waren, dann doch wieder zurück in die Stadt fahren mussten, obwohl viele von ihnen mit gültigen Tickets angekommen, die Flüge aber zum Teil überbucht waren– entschied ich mich final. Ich rief ihn an. "Ich komme mit."

...wo wir sind.

Seit dieser Entscheidung, vor allem während der Fahrt, der ersten Nacht, hatten sich die Gefühle in mir abgewechselt, je nach dem wo ich las, was ich hörte, wer mich anschrieb, wie oft ich auf den Bildschirm meines iPhones mit Unsicherheit oder Bestätigung versorgt wurde, fühlte ich mich sicher, genau richtig, ganz ruhig, dann, meistens kurz bevor ich einschlief, doch wieder zweifelnd, zu weit weg – nur für welchen Fall?

Gestern Nacht hatte er mich aufgeweckt, vorsichtig an den Schultern aus meinem Traum gezogen, mich zurück an die Oberfläche geholt, auf der ich mich schlafen gelegt hatte. Als ich die Augen öffnete, seine Umrisse erkannte, realisierte, wo ich war, wie schnell mein Herz schlug, wie nervös meine Haut dort kribbelte, wo eben noch seine Hand gelegen hatte, wie fest ich jetzt seine drückte – fand ich zurück, setze mich aufrecht. "Wovon hast du geträumt?" Ich schüttelte nur den Kopf. Wusste nicht wie ich es sagen sollte, ließ ihn mich umarmen. "Ich hab dich – ok?"
Ich wusste nicht, ob es ok war. Ich wusste nicht, ob das hier nicht zu nah war, zu schnell war, Teil meiner Angst war.
Ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Ich schlief wieder ein.

Es war diese E-Mail gewesen, die jetzt vor mir offen auf 13 Zoll ihre Wirkung entfaltet, eine ganz andere, als die, die ich noch vor ein paar Stunden gefühlt hatte. Ich lasse mich zurück auf den Stuhl sinken. Für die nächsten drei Wochen, gibt es eine Entscheidung. Für 21 Tage würde ich bleiben, wo ich war, nicht auf einen Abruf warten, sondern die innere Geduld, die nur durch das Gewimmel an Worten und Meinungen all jener, die ich nicht hatte überhören können, gestört worden war – wieder ganz zulassen. Als er meinen Nacken streichelt, sich über meine Schulter beugt, ziehe ich ihn zu mir, lehne mich an ihn. Das Tauchbecken – wird in diesem Moment zu einer Blase. Ich bin froh – hier zu sein, ich fühle mich erleichtert mit meiner Entscheidung, selbst damit, dass mir jemand für die nächsten Wochen jede weitere abgenommen, aber mir trotzdem Information, Zuversicht und Ruhe gegeben hatte. Kein leichter Job.

Die nächsten drei Wochen würden für keinen von uns Realität bedeuten, hier in Südafrika, hält das Land die Zeit an, um sich ein bisschen mehr davon zu verschaffen. Und ich begreife, dass wir genau das gleiche tun können.

... weiter zu kapitel 5/21

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Comments

  • Ich finde es echt großartig, dass Du uns hier mitnimmst, ins Innen und Außen. Und bin schon ganz gespannt, welches Buch du als nächstes schreibst. Ich war heute bei uns im wieder eröffneten Buchladen um die Ecke und wollte dein Buch kaufen, aaaber es ist aktuell nicht lieferbar und wird nachgedruckt. Also gedulde ich mich noch ein wenig und gratuliere Dir allerherzlichst zu diesem mehr als verdienten Erfolg. 🙂

  • Ich habe gerade alle vier Teile verschlungen – so so schön. Danke für diesen besonderen Einblick. Ich freue mich gerade sehr auf den nächsten Tag..

  • Ich kann nicht anders, als zu denken, dass es an Voyeurismus grenzt, das zu lesen und es mich irgendwie abstoßt, wie geil alle auf die intimsten Details eines völlig fremden Lebens zu sein scheinen und um immer mehr davon betteln. Und mir tut es fast weh, dass du das alles so hergibst und dich so bloßstellst. Warum? Das ist doch wertvoll, behalt es doch für dich

    • Vielleicht sind Worte nur ja auch nur dann Voyeurismus, wenn wir vor ihnen stehen bleiben um sie anzuschauen, statt sie selbst zu fühlen ..

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