21 days – chapter 3/21

3/21

To feel inner stability, hold on to your routines and if that is not possible – find new ones

Der kalte Stein unter meinen Füßen wirkt betäubend. Ich spüre meine Zehen nicht mehr, als ich noch ein paar Schritte weiter über den Hang nach oben klettere, um die frischen Eier und reifen Pflaumen unter den Sträuchern zu verstecken. Es ist still hier draußen, die Welt um den See und die Savanne schläft unverändert, seit dem ich mir einen Pullover übergezogen und hier rausgekommen war – bis auf die Blikslaanertjies, die im Morgengrauen immer leiser werden, gibt es kein einziges Geräusch. Blikslaanertjies, das heißt kleine Blechdose, rattling cans heißen diese kleinen Frösche im Englischen, denn nachts, wenn hunderte von ihnen nach Liebe suchen, klingt es, als würde man viele, kleine Dosen klappern hören oder mit einem Stock an ihnen entlang streichen.

Mich erinnern sie an Grillen, sie klingen genau so beruhigend, aber weniger monoton, ihr Ruf stottert ein wenig.

Heute ist der vierte Morgen, an dem ich in der Cabin aufwache, der dritte Tag des Lockdowns. To feel inner stability, hold on to your routines and if that is not possible – find new ones, hatte Dr. Zwelini Mkhize, der minister of health in einem statement geraten. Ich folge seinem Rat barfuß.

Vor zwei Tagen hatte ich an dem großen Fenster des Schlafzimmers, das auf den kleinen Steinhang zeigte, in den die hintere Terrasse des Bootshauses eingelassen war, zwei kleine Mungos gesehen. Als teeny, tiny, furry things hatte ich sie beschrieben, als ich ihn an der Schulter aufweckte und sie ihm zeigte.
Black-tail Mongoose heißen die kleinen Tiere, für die ich die Eier mitgebracht habe. Die Pflaumen sind für die Dassies. Zwei von ihnen hatte ich am ersten Morgen beobachtet, seit ich sie mit Obst anlockte, waren es binnen zwei Tagen gleich sechs geworden, die in einer knappen Stunde, wenn die Sonne den Fels erreicht hatte, nicht nur unbeeindruckt von uns dort die Wärme genießen, sondern auch nach Futter suchen würden. Die Mungos waren scheuer, schwerer zu beeindrucken. Vielleicht wollte ich mich gerade deswegen mit ihnen anfreunden.

Ich will wieder schreiben 

„Du bist eiskalt…“, er zuckt zusammen, als ich die Decke anhebe, mich an seinen Rücken drücke, dann um ihn wickle und meinen Kopf in seine Halsbeuge lege. Das ist noch so eine Routine, für die wir nicht einmal 72h gebraucht hatten. Er schlief lange, ich wachte auf, sobald das Licht blau wurde, wickelte mich in eine Decke, setze Wasser auf und holte mein Notizbuch heraus. Ich mochte den ungestörten Blick auf das Wasser, das sich bei Wind kräuselte und bei Stille zum Spiegel wurde. Ich sammelte oder streute Gedanken, schrieb eine Weile, verlor gerne das Zeitgefühl. Gegen 8:30 Uhr machte ich uns Kaffee, röstete gebutterten Toast in der Pfanne und strich Erdbeermarmelade darauf, brachte beides ans Bett, wartete bis er aufrecht saß, rollte dann das lederne Backgammon-Spiel aus, das ich noch vor ein paar Wochen bei einem Ausflug mit Freunden in der Kalkbay gekauft hatte. Wir spielten dann zwei Runde, oder drei, wenn ich die ersten beiden verloren hatte. Dann zog er mich zurück zu sich.

***

Er stand eigentlich gern auf, sobald er wach war, duschte, zog sich an und machte das Bett. Ich liebte es früh wach zu sein, aber noch länger zu lesen, zwei Tassen Kaffee zu trinken, mich über Nachrichten zu informieren oder selbst an einem Absatz zu arbeiten. Früh wach zu sein – und trotzdem Zeit zu haben, noch genug Platz für Gedanken, bevor der Tag wirklich an Geschwindigkeit gewann, fühlte sich für mich wie ein wertvoller Vorsprung an. Ich war am kreativsten, wenn um mich herum der Raum, die Umgebung, die Welt aufwachte, während ich es schon lange war. Gestern hatte ich, ohne zu wissen ob ich es je veröffentlichen wollte, ein Kapitel über unsere Fahrt hierher, auf die Farm geschrieben, vorgestern war ich morgens schon mit der Kamera über den Sandstein geschlendert, hatte Texturen von Gräsern und Wolkenformationen fotografiert. Kreativität rostet ein, wenn man sie nicht nährt. Und Kreativität kann dir Sinn und Halt geben, ohne dass du immer sofort wissen musst, wofür du sie nutzt. Meistens findet man sie vor allem dort in ihrer naiven, rohen Form, wo man sie eigentlich nie gewollt oder gesucht hätte.

Graslandschaften, Frösche, Sandsteine, ein grauer See voller Karpfen, ein bunt dekoriertes Bootshaus, ohne Strom, ohne Signal. Nichts daran hätte mich jemals angezogen – aber auf einmal wurde es zu einem Ort, an dem ich so klar dachte, so viele Ideen fassen und aufschreiben oder festhalten konnte, wie schon seit sehr langer Zeit nicht mehr. in Kapstadt erlebte ich, saugte ich auf – aber war meistens zu fahrig, zu aufgeladen, zu will darauf die Stadt auszukosten, nichts zu verpassen, in der wenigen Zeit, die ich mit ihr hatte. Hier, wo ich keine Euphorie erwartete, wo es wunderschön, aber so umaufregend war, fand ich auf einmal die Balance, um an neuen Texten, Projekten, vielleicht sogar an einem zweiten Buch zu arbeiten. Ich konnte durchatmen, mich wieder konzentrieren.

„Ich glaube ich will ein Tagebuch schreiben – und veröffentlichen.“

„Vom Lockdown?“
„Vielleicht. Eher aber von der Zeit hier. Von den Gefühlen, die ich habe, während wir hier sind, von den Gedanken die mir hier kommen, was ich sehe, bemerke.“

Als er nicht gleich antwortet, frage ich: „Ist das ok?“

... weiter zu kapitel 4/21

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Comments

  • Einfach danke!
    Deine Texte nehmen einen direkt mit auf eine Reise und hinterlassen ein wohliges Gefühl.

    Danke, dass du uns daran teilhaben lässt!

  • Liebe Lina,

    also schreibe auch ich dir wieder. Dieses Tagebuch, was wir hier lesen dürfen ist ganz wunderbar.
    Ich habe deine geschriebenen Worte sehr vermisst. Kann sehr gut verstehen das du deine Energie für anderes gebraucht hast, freue mich aber trotzdem sehr deine Worte wieder lesen zu dürfen.
    Bei deinen Texten weiß man sofort wer ihn geschrieben hat. Dein Stil berühigt mich immer wieder und ich komme in einen wunderbaren Leseflow.
    Als klar wurde das du Anfang April dein Buch veröffentlichs,t habe ich mir gedacht: das wollte ich immer lesen, sollte ich bestellen. Dann aber doch nicht gemacht. Jetzt hast du dieses Tagebuch veröffentlicht und ich will unbedingt mehr von dir lesen. Das macht so Lust auf mehr.

    Buch ist also bestellt (und ich hoffe so sehr, dass das mit der 2. Auflage schnell geht…, hat dein Verlag da schon was gesagt?).

    Liebste Grüße
    Pia

  • Ich habe Blogs lange nicht mehr gelesen, da ich das Gefühl hatte, sie sind so ein Überbleibsel auzs 2013. Aber jetzt das, das ist toll! Dein Schreibstil ist unglaublich, die Fotos sind hier noch einmal schöner als in den Instagram stories und ich freue mich auf die weiteren Kapitel!! Alles Gute dir, Lina! 🙂

  • Ich bin ein absoluter Fan deines emotionalen Schreibstils. Man kann sich in jeden Moment einfach so gut reinfühlen. Wunderschön. Ich kennen Südafrika sehr gut, habe schon einige Zeit dort verbracht und manchmal fühle ich mich, als würde ich neben dir sitzen und das ganze miterlebt. Deine Geschichten wecken Erinnerungen bei mir, machen ein wenig Fernweh nach meinem happy place& vor allem machen sie unglaublich glücklich 🙂

  • Liebe Lina,

    ich kann es garnicht erwarten die folgenden Kapitel zu lesen 🙂
    Wie wunderschön du schreibst und die Art wie du die Texte mit deinen wunderschönen Bildern einrahmst, einfach toll!

    Liebe Grüße
    Ricky

  • Es ist früh am Morgen, die Sonne scheint durch das Fenster, blendet mich und ich habe endlich die Zeit diese Reihe zu lesen. Habe schon bei Kapitel 5 ein Kommentar hinterlassen wie toll ich diese finde, muss es dir aber nochmal sagen. Ich wohne seit fast drei Jahren in der UK und vergesse manchmal die Schönheit meiner eigenen Sprache, aber dein Schreiben erinnert mich immer daran und bringt Erinnerungen hervor die ich ganz vergessen hatte. Danke!

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