#TWENTYSOMETHING COLUMN: SCHON LANGE AUSERZÄHLT

„Mmmh..“, macht er, antwortet mir ohne Worte und so verzögert, wie es Einschlafende tun, kurz bevor sie dich nicht mehr hören, nur noch ein Murmeln wahrnehmen, das durch die Watte immer leiser wird, bis es in weißes Rauschen abebbt und zur Stille wird.
„Mmmh..“, klingt nach: schon gut, hör auf zu reden, lass uns schlafen.

Es ist kurz nach 02:00 Uhr, ich rede seit einer halben Stunde gegen seine Wange, erzähle von meiner Woche, von meiner Zeit in Südafrika, von ungemachten Plänen, nur um genau das nicht zu tun und ihn nicht zu lassen. Ich will nicht schlafen, ich will gar nicht in die Nähe der Stille kommen, während er in sie hineinfällt und ich hängenbleibe. Auf Gedanken wie: Irgendwie hab ich mir das hier, das wieder – schöner vorgestellt.
Irgendwie kommen wir uns nie näher. Irgendwie war es gerade mal, knapp ok – dieser Abend hier, du neben mir und unsere Sachen zwischen Flur und Küche. Es ist irgendwie einfach nur ok, dass du doch hier bist, obwohl ich es gar nicht mehr erwartet habe, dass ich aus dem Taxi die Treppen hinaufrenne, um wenigstens noch 10 Minuten vor dir da zu sein, zu duschen, mir die Haare zu bürsten, einen Wein einzuschenken, den wir nie trinken.

Wir werden morgen nicht gemeinsam aufwachen, du wirst mich nur aufwecken, wenn du los musst.
Wir werden morgen nicht voneinander hören, es sei denn ich bemühe mich darum.
Wir werden uns morgen nicht wiedersehen, obwohl ich mich früher so darum bemüht hätte.

Ich will noch nicht schlafen. Und ich will noch nicht mit mir selbst allein sein, während du es tust.
Ich will nicht darüber nachdenken, wie überfällig wir geworden sind.
Ich will das ganze Mittelmaß gar nicht fühlen.

Also rede ich weiter. Und du machst noch ein paar Mal „Mmmh.“

Ich wache auf, als sein Wecker klingelt. Ein paar Mal, dann immer wieder und schließlich nicht mehr. Noch vor 94 Stunden hätte ich mich umgedreht, hätte seine Wange gestreichelt, seine Schulter geküsst, hätte seine Bartstoppeln an meiner Stirn und dann einen Kuss gespürt. Hätte gemurmelt: „You gotta get up..“, mir ein Shirt übergezogen und ihn im Halbdunkeln an der Tür verabschiedet, mich danach mit einem Tee zurück in das Bett verkrochen, noch ein bisschen das Gefühl und die Kissen festgehalten. Heute ist da kein Kuss, keine Bartstoppeln, noch immer die gleiche Stille wie gestern Abend –  heute ist da ein anderer Mann, als vor ein paar Tagen.

 


Er schreckt hoch, als ihm klar wird, dass er verschlafen hat, lässt das Licht aus, tastet sich mit der Bildschirmhelligkeit vor, findet seine Schuhe. Kurz bevor er gehen will, wache ich überzeugend auf, drehe ihm den Kopf zu. „Ich muss los..bin zu spät.“ Ich nicke, widerspreche nicht, lasse mich auf den Mund küssen und warte, dass die Tür ins Schloss fällt.
Dann stehe ich auf, will gar nicht noch mal einschlafen, will gar keine letzten Fetzen der vergangenen Nacht zum Bleiben überreden. Ich mache mir Kaffee und dann das Fenster auf. Es ist oke, dass sie sich langsam in den Morgen verziehen.

Ein paar Minuten später springt der Hund zu mir ins Bett, kriecht unter die Decke, ich kraule ihm die Ohren und schau der Sonne beim Aufgehen zu, während die French Press langsam neben meiner noch leeren Tasse durchzieht.
Hier standen nie zwei davon, wir haben nie zusammen gefrühstückt, eigentlich haben wir uns nie so richtig bei Tageslicht, immer nur zum Abschied gesehen.

Ich gebe es zu. Ein Teil von mir hat im Halbschlaf doch gehofft, dass er bleiben kann, wenn er das Klingeln verpasst. Nicht weil ich ihn nicht gehen lassen wollte. Nicht weil ich hoffe, dass dieser eine Morgen irgendetwas geändert, aber vielleicht noch ein bisschen länger versteckt, übermalt, geleugnet hätte – die dumpfe, schale Langeweile, die ich vor mir selbst zu verstecken versuche. Seit Monaten.

Ich langweile mich. Wir langweilen mich. Die Distanz langweilt mich. Sein Schweigen, seine wenigen Worte langweilen mich. Unsere gleiche, kurze, pauschale Nähe, die ihm zu wenig bedeutet und mir nicht genug ist, langweilt mich.
Ich weiß nie mehr von ihm, nachdem er gegangen ist, krieg nie mehr, fühl nie mehr, geb auch nicht mehr mehr, erwarte immer nur das Gleiche. Wir sind wie der One Night Stand, der irgendwann einfach nicht mehr neu, nicht mehr unbekannt ist  – und damit seinen einzigen Zauber verloren hat.

Wir sind diese großartige Geschichte, die schon lange auserzählt ist. Wir sind wie die 5. Staffel einer guten Serie, wir haben ein bisschen zu lange versucht aus einem Umweg doch noch ein gutes Ende zu machen, obwohl die eigentliche Chemie 50 Episoden vorher stattfand. ..

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Comments

  • Es tut mir unbekannter Weise Leid, dass du dich so fühlst. So ehrlich, so nah, so zweisam einsam. Dein Text ist mal wieder phänomenal und ich bin so beeindruckt, wie dolle du einen zum Nachfühlen bewegen kannst. <3

    • Liebe Käthe,

      dir muss das gar nicht leid tun, der Text ist ja ein selbstbestimmter Abschluss einer auserzählten Geschichte von mir.
      Da gab es nichts mehr zu bereuen.
      Alles Liebe,
      Lina <3

  • Liebe Lina, dein Text spricht mir teilweise so aus der Seele in meiner momentanen Situation. Nicht einschlafen zu wollen nach tollen und ehrlichen Gesprächen um nicht der Tatsache am Tag ins Auge zu blicken, dass nur ich auch tagsüber tiefsinnige Gespräche führen möchte. Und es im Grunde von Anfang an klar war, aber wie bei einer Serie kam bei mir die Erkenntniss auch erst im längst überfälligen, etwas dramtischen Staffelfinale. Aber ich hoffe die nächste Staffel wird bei mir und bei dir besser/schöner.

  • Oh kenne es so gut!! Da ist dieser eine Kerl den ich immer Anrufe oder der mich anruft, wenn wir gerade niemanden haben. Und die Nacht ist in Ordnung und Morgens steige ich in mein Auto und fahre eine Stunde nachhause und frage mich warum.

  • Ein wirklich toller, emotionaler Beitrag! Da kann man sich gut hineinversetzten. Hört sich einbisschen an, wie der Anfang eines wirklich guten Romans
    Liebe Grüße

  • Wow.. ich fühle so mit dir Lina und befinde mich, so glaube ich, in einer ganz ähnlichen Situation.. schon komisch wie es einem Kraft gibt, zu Wissen, man ist damit nicht allein auch wenn man es niemandem wünscht..

    Vor allem wenn man sich im Ausland verliebt und alles so toll und aufregend ist und dann aber weiter muss oder will, weil man noch nicht fertig mit seiner Reise ist.. am Flughafen steht und sich verspricht, dass es nicht das Ende ist – dass man sich wieder sieht und in Kontakt bleibt. Und man versucht so sehr daran festzuhalten, an diesem extremen Gefühl und bemüht sich, aber es kommt immer weniger und dann einfach gar nichts mehr. Keine Nachfrage mehr wie es einem geht oder was man erlebt..

  • „Ich weiß nie mehr von ihm, nachdem er gegangen ist, krieg nie mehr, fühl nie mehr, geb auch nicht mehr mehr, erwarte immer nur das Gleiche. Wir sind wie der One Night Stand, der irgendwann einfach nicht mehr neu, nicht mehr unbekannt ist – und damit seinen einzigen Zauber verloren hat. “

    ….so fucking gut formuliert!

  • Liebe Lina,
    dieser Text gefällt mir wahnsinnig gut. Es ist schön, dass du das Kapitel abhaken konntest und diese wahren Worte gefunden hast.
    „..eigentlich haben wir uns nie so richtig bei Tageslicht, immer nur zum Abschied gesehen.“ – es ist zwar lange her aber diese Situation kommt mir auch bekannt vor.
    Liebe Grüße
    Jasmin von http://www.jasminjuin.de

  • Die letzten Worte treffen mich. Obwohl der ganzen Text mit so gut gewählten Worten beschreibt, was ich kenne, sind die letzten Worte besonders hart:‘ Wir sind diese großartige Geschichte, die schon lange auserzählt ist. Wir sind wie die 5. Staffel einer guten Serie, wir haben ein bisschen zu lange versucht aus einem Umweg doch noch ein gutes Ende zu machen.‘ manchmal sind es deine Texte, die meine Geschichten und Gedanken finalisieren. Danke dafür Lina! Danke für das formulieren der Gedanken, die ich mich manchmal nicht zu denken traue! <3

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